Organspende – eine Anregung zur Diskussion
Die Organspende ist ein vielschichtiges und kompliziertes Thema und eine große Herausforderung an die gesellschaftliche Ethik und an die christliche Moral. Deshalb wird es niemand wagen, mit einfachen Rezepten die universale Lösung zu präsentieren. Eine Moralenzyklika wäre vermessen und auch Synoden könnten nur Eckpfeiler des christlichen Verhaltens im Lichte des Evangeliums und im Sinne der Heiligen Väter der Kirche benennen, aber nicht einen einzigen Fall entscheiden. Denn jeder einzelne Fall unterliegt letztlich dem persönlichen Gewissen und sollte begleitet und geführt werden durch den Rat und die Hilfestellung des geistlichen Vaters und steht in der Oikonomia Gottes, der das Heil aller Menschen will.
Auch diese Überlegungen können das Thema nur beschreiben, ein Nachdenken anregen, das Gespräch provozieren und vor allem verschiedene Aspekte neu sortieren.
Vor allem sollte in den oft diffusen Diskussionen allmählich klar werden: Eine Organspende und ihre möglichen ethischen Implikationen betreffen drei Menschen: Den Spender, den Arzt und den Empfänger. Merkwürdigerweise wird in der schon seit Jahren währenden Diskussion fast nur vom Organspender, selten vom Chirurgen und so gut wie nie vom Organempfänger gesprochen.
Der Organspender
Der Druck, Organspender zu werden, wird immer größer. Die Krankenkassen verschicken Ausweise, die Politik verabschiedet Gesetze zur regelmäßigen Befragung, die moralisch auftretende Gesellschaft agiert immer überheblicher. Kaum einer würde heute noch wagen, öffentlich eine Organspende abzulehnen, auch wenn er persönlich große Vorbehalte oder auch Ängste hegt.
Aus orthodoxer Sicht ist eine Antwort möglicherweise gar nicht so schwierig und kompliziert. Auch wenn jeder Christ verpflichtet ist, seinen Leib zu pflegen und zu schützen, da er durch die heilige Taufe Tempel des Heiligen Geistes geworden und Gott übereignet worden ist – symbolisch wird das durch den antiken Ritus des Haareschneidens bei der Taufe angedeutet -, so dient er doch in erster Linie ein Werkzeug der Liebe, genauer der Nächstenliebe. Wenn also ein Mensch etwas herschenkt, ja sogar etwas von sich selber, möglicherweise mit dem Risiko, der eigenen Gesundheit zu schaden, etwa bei einer Nierenspende, so ist das doch ein großartiges Werk der Nächstenliebe und ein Gleichwerden mit Christus, der sein Leben hingegeben hat und dies auch von seinen Jüngern erwartet: “Größere Liebe hat keiner, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde” (Joh 15,13).
Ein moralisches Problem stellt sich freilich noch nicht bei Blutspenden oder Rückenmarksentnahmen. Aber wenn auf den Tod eines Patienten gewartet oder die Operation an der noch warmen Leiche vorgenommen wird, wo niemand mit Gewissheit sagen kann, ob der Mensch aus der Sicht Gottes bereits wirklich gestorben ist oder durch die Operation erst endgültig stirbt, wird die ethische Frage unausweichlich. Ein christlicher Spender jedoch kann diesem Problem ruhig entgegengehen, denn auch wenn er als Komapatient einen Hauch einer Chance zum Überleben gehabt hätte, die ihm die Operation zur Organentnahme zunichte machte, so kann er doch in der Gewissheit ins Paradies eingehen, dass er sein Leben hingegeben hat und so Christus nachgefolgt ist.
Für den orthodoxen Totengottesdienst am offenen Sarg muss aber gewährleistet bleiben, dass die Organentnahme in würdiger Form stattfindet und eine Leiche von den Ärzten nicht vollständig zerpflückt wird.
Der Arzt
Für den behandelnden Arzt, der den klinischen Tod des Spenders feststellen muss, um ihm Organe möglichst rasch und unversehrt zu entnehmen, ist das Problem erheblich heikler. Einen Tod zu diagnostizieren mag für einen Arzt im Normalfall noch einigermaßen eindeutig sein, aber den Todeszeitpunkt gewissermaßen auf den Moment genau zu definieren und für eine Operation exakt abzupassen, ist wohl nach heutigem medizinischen Erkenntnisstand definitiv unmöglich. Möglicherweise bleibt er für immer unmöglich, weil ein Mediziner niemals feststellen kann, wann die von Gott geschaffene Einheit von Leib und Seele zerbricht, da er nur die physische Seite dieser Einheit messen und beurteilen kann. Auch der messbare Hirntod bleibt nur eine von mehreren Theorien, weil niemand weiß, wann die Geistseele den Körper unwiderruflich verlässt bzw. genauer, wann Christus kommt und die Seele zu sich nimmt, wie auf der Ikone der Entschlafung der Gottesmutter anschaulich zu sehen ist. Kein Arzt kann sich sicher sein, ob sein Eingriff vielleicht ein wenig zu früh kommt und er damit gegen den Eid des Hypokrates verstößt und tötet statt zu heilen. Sicherlich wird er sich hinter den jeweils größeren und höheren Zielen, durch eine Organtransplantation ein chancenreiches Leben zu retten, verstecken. Aber kann man Leben gegenseitig aufrechnen, etwa das Vegetieren eines alten Junggesellen im Koma gegen einen jungen herzkranken Familienvater? Der Arzt kann und darf das nicht entscheiden und tut es auch nicht, sondern wird sich mit vielen Unterschriften und Einverständniserklärungen absichern und damit die Schuldfrage zu verschieben suchen, doch vor Gott wird das wenig zählen, wenn im jüngsten Gericht eines jeden eigene Schuld bewertet wird und keine Rechtfertigungen mehr zählen.
Der Organempfänger
Bleibt jedoch noch der Dritte in der Kette der Organverschiebung, der bislang meist völlig außerhalb der ethischen und moralischen Diskussion bleibt, weil er doch als der Ärmste erscheint, der unheilbar krank auf den letzten Strohhalm wartet um sein Leben zu retten, der vom Schicksal benachteiligt auf fremde Hilfe restlos angewiesen ist, der bereits seit langem verzweifelt wartet, dass ihm geholfen wird und dass er ein lebenswertes Leben nach furchtbaren Torturen endlich weiterführen kann.
Ohne Vorverurteilungen soll der Organempfänger ernst genommen werden, auch wenn leichtsinnige Sportunfälle, überforderte Herzen, versoffene Lebern und verrauchte Lungen durchaus ein Thema von Sünde und Schuld ist. Es gibt ja auch angeborene schwere unverschuldete Schäden, und ganz sicher lässt sich niemand leichtsinnig auf eine riskante und problematische Organverpflanzung ein, die lebenslang von einer Abstoßung bedroht ist und noch viele andere Komplikationen und Belastungen mit sich bringt. Niemand hat das Recht, Gesundheit höher oder geringer zu werten, den Überlebenswillen eines Kranken in Frage zu stellen oder eine letzte Hoffnung zu zerstören. Und es bleibt auch unbestritten, dass der Wert eines Lebens eigentlich unbegrenzt ist. Aber vielleicht wirklich nur „eigentlich“. Der Organspender jedenfalls relativiert mutig selbst den Wert seines eigenen Lebens, wenn er sich jemand anderem zur Verfügung stellt mit dem Risiko, dass vielleicht die Ärzte sein Leben unbeabsichtigt beenden.
Auch für den Organempfänger gilt dieses „eigentlich“ und damit eine gewisse Relativierung des Wertes des Lebens, wenn er sich mit seiner Endlichkeit auseinandersetzt und Krankheit, körperliche Einschränkung und das Sterben als zum Leben nach dem Sündenfall gehörig akzeptiert. Dann zieht er möglicherweise die Grenzen medizinischer Hilfe und ärztlicher Kunst enger und geht nicht bis zum Äußersten technischer Möglichkeiten. Das ist freilich eine Gewissensentscheidung, die niemand von außen fordern kann, nicht einmal von der Kanzel.
Aber es muss zumindest diese Frage erlaubt sein und endlich dringend gestellt werden, ob nur das irdische zeitliche Leben zählt, gilt und zu erhalten ist, oder ob der Blick nicht wieder verstärkt – und im Erleben von Krankheit, Schwäche und Endlichkeit von ganz Neuem – auf das Königreich der Himmel und das endgültige Leben bei und mit Christus gelenkt werden sollte. Ohne Frage gibt es einen berechtigten Überlebenswillen. Aber gibt es nicht auch eine berechtigte Annahme der Krankheit und des Todes sowie eine entsprechende Vorbereitung? Christen dürften hier kein Fragezeichen setzen. Sie nehmen ihr Leben als Geschenk an ohne das Recht, es wegzuwerfen, etwa durch Selbstmord oder Sterbehilfe, und sie nehmen auch das Ende und den Tod an, auch wenn er zu früh kommt. Ist es nicht zutiefst christlich, nicht auf das Opfer und den Tod eines Organspenders zu warten, auch wenn die Ärzte diese technische Möglichkeit anbieten?
An dieser Stelle fängt das Thema eigentlich erst an, hier müsste dieser Artikel beginnen, nun sollte die Katechese und Verkündigung ihren Platz finden. Die Pro-vokation, die Hervorrufung von eigenen Überlegungen, Gedanken, Argumenten hat aber hoffentlich bis zu diesem Punkt schon stattgefunden. Das wäre bereits eine wertvolle Frucht.
Von p. Martinos