Rote Ostereier
Nachdem die Eier in der Osternacht gesegnet und an jeden der Anwesenden am Ende der Osternacht verteilt worden sind, schlagen sich die Gläubigen gegenseitig die Eier auf, indem sie sich dabei grüßen: Christus ist auferstanden – Christos anesti, mit der Antwort: Er ist wahrhaft auferstanden – alithos anesti. Dessen Ei dabei nicht zerbricht, hat als Gewinner die Chance, ein weiteres Ei aufzuschlagen und wiederum den Ostergruß weiterzugeben, bis sein eigenes Ei zerbricht und er es endlich verzehren kann.
Das wirkt vielleicht wie ein Spiel, doch ist es auch ein Ausdruck unbändiger Osterfreude nach der Fastenzeit, in der auch auf die Eier und ähnliche Speisen tierischer Herkunft sieben Wochen lang verzichtet wurde. Das orthodoxe Fasten beschränkt in erster Linie nicht die Menge der Nahrung, sondern ihre Qualität. Strenges veganes Fasten, an Wochentagen sogar ohne Öl, um konsequent auf alle von Tieren stammende Speisen zu verzichten und auch auf das Öl als Geschmacksträger sowie den Wein zur Freude bei den Mahlzeiten, ist eine durchaus harte Übung, die ein asketisches Opfer sein soll, aber auch an das paradiesische Leben erinnert, wo niemand durch Töten sein Leben fristen sollte und nur die Früchte der Bäume und des Feldes den paradiesischen Menschen zur Nahrung gestattet waren. Dieses verlorene Paradies, um das sich der asketische Christ bemüht, wurde nun endgültig wiedereröffnet und geschenkt durch den auferstandenen Christus, deshalb kennt die Osterfreude keine Grenzen. Christus ist auferstanden – Er ist wahrhaft auferstanden.
Ostereier gibt es in allen Varianten, vor allem aus Schokolade, und in den Supermärkten kann man sie schon ab Januar kaufen und ist ihrer bis Ostern bereits überdrüssig geworden. Doch eigentlich sind es die hartgekochten rotgefärbten Hühnereier, die Ostern symbolisieren. Wieviel Symbolik ist schon in diese roten Ostereier hineingelegt oder aus ihnen herausgelesen worden …?
Im Russischen ist gibt es die sprachliche Besonderheit, dass nämlich „schön“ und „rot“ synonyme Wörter sind, weshalb der „Rote Platz“ in Moskau auch als der „Schöne Platz“ übersetzt werden kann und ursprünglich auch so gemeint ist und heißt. Deswegen zelebrieren die russischen Priester an Ostern sogar in roten Gewändern, weil so Schönheit ausgedrückt werden soll, während die klassischen byzantinischen Gewänder eigentlich nur Gold oder Weiß als feierliche Farben kennen, bzw. Purpur als kaiserliche Farbe. Aber die roten Eier kann man nicht mit russischen Sprachbesonderheiten erklären, denn sie sind älter als die tausendjährige russische Orthodoxie. Auch in der viel älteren griechisch-byzantinischen Tradition sind die Ostereier rot, ohne dass rot mit schön synonym wäre.
Am Gründonnerstag kochen die Frauen vor dem langen Passionsgottesdienst mit den 12 Passionsevangelien und der Kreuzaufrichtung in großen Töpfen zusammen mit Farbe oder roten Zwiebelschalen viele Eier und polieren sie anschließend mit Olivenöl glänzend. Wer denkt da nicht mit Schaudern an das Blut Christi, das vom Kreuz herabgetropft ist, um die Menschheit und die ganze Schöpfung zu erretten. Wahrscheinlich freut sich auch Jede zugleich auf Ostern und das neue Leben, das die Eier symbolisieren, auch wenn hartgekochte Eier nicht mehr lebendig sind.
So alt und ursprünglich die griechische Kirche auch ist, die roten Eier sind älter und sogar vorchristlich. Auf allen antiken Märkten des Mittelmeerraumes wurden Eier verkauft, rohe und gekochte. Um sie zu unterscheiden waren die hartgekochten Eier gefärbt, mit roter Farbe. So konnte jeder Irrtum beim Kauf ausgeschlossen werden. Mittlerweile ist es auch hierzulande üblich geworden, gekochte Frühstückseier gefärbt zu verkaufen. Jede den roten Eiern zugesprochene weitergehende Symbolik ist also nachträglich, denn die Existenz roter hartgekochter Eier hatte ursprünglich rein praktische Gründe. So wurde, wie auch bei anderen Traditionen, vorchristliches Brauchtum und Lebensgewohnheit vom Christentum übernommen, neu und tiefer gedeutet und gewissermaßen getauft. Mit dem Christentum hat die Kulturgeschichte der Menschheit nicht begonnen, aber die griechisch geprägte Kultur des Mittelmeerraumes wurde christianisiert und Träger des Christentums. Damit sind spätere und tiefergehende Bedeutungen und Deutungen nicht verboten oder ausgeschlossen, aber sie sind nicht ursprünglich und notwendig, sondern in gewissem Sinne beliebig, und deshalb sollten sie auch nicht überlastet und überzogen werden. Doch trotz dieser nüchternen Erkenntnis bleibt die Freude beim Anstoßen der roten Ostereier: Christos anesti – alithos anesti.
Von p. Martinos
Rote Ostereier