Die Weihnachtsikone
Die orthodoxe Weihnachtsikone unterscheidet sich deutlich von den Krippendarstellungen des Westens, die in diesen Tagen allerorten auf den Christkindlsmärkten und bei deutschen Freunden zu sehen ist. Ins Auge fällt vor allem, dass kein Stall dargestellt ist und dass Maria und Joseph nicht vor der Krippe anbeten. Vielmehr sieht man in der Mitte der Ikone eine Höhle in einem Felsspalt. Darin liegt das in Windeln gewickelte Kind. Davor ruht die Gottesgebärerin auf einem purpurfarbenen Kissen wie eine Kaiserin. Auf der einen Seite sind die Hirten zu sehen, denen ein Engel die frohe Botschaft verkündet, und auf der anderen Seite reiten die drei Magier aus dem Osten herbei. Am Bildrand sitzt am Geschehen unbeteiligt Joseph und unten kann man erkennen, wie der kleine Jesusknabe von Salome gebadet wird.
Die Weihnachtsikone ist ein theologisches Bild. Sie beschränkt sich nicht darauf, darzustellen, wie es in Bethlehem ausgesehen haben mag, wobei als historisch gelten kann, dass der Stall der Nutztiere eine Felshöhe war, vor der eine Bauernbehausung stand, und sicher kein deutscher Heuschober auf einer Wiese. Die Ikone will das Glaubensgeheimnis der Geburt des Sohnes Gottes im Fleische vor Augen stellen. Gott ist Mensch geworden in der Fülle der Zeiten aus der Jungfrau Maria. Er ist wirklich Mensch geworden und trat gewissermaßen in den Mutterschoß der Erde ein, so wie das Konktakion von Weihnachten singt: und die Erde bietet die Höhle dem Unzugänglichen. Deshalb liegt Christus in einer Höhle, die ähnlich der Grabeshöhle ist, denn auch die Auferstehung ist wie eine zweite Geburt aus der Tiefe der Erde, genauso jungfräulich, ohne die Siegel des Ausganges zu zerbrechen. Doch zugleich wird auch deutlich, daß diese Geburt nicht einfach nur natürlich und ausschließlich menschlich war. Von oben sieht man einen dünnen Lichtstrahl in die Höhle eindringen, in dem meist eine Taube eingezeichnet ist. Das neugeborene Kind ist der Sohn Gottes, der durch den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria Mensch wurde.
Der Apolytikion von Weihnachten lautet:
Deine Geburt, Christus, unser Gott, hat aufgehen lassen der Welt das Licht der Erkenntnis. Denn in dieser wurden durch einen Stern jene belehrt, die den Sternen dienten, dich zu verehren als die Sonne der Gerechtigkeit und dich zu erkennen als Aufgang aus der Höhe. Herr, Ehre dir.
Maria liegt auf einem prächtigen Divan. Sie ist wirklich Mutter, die nach der wirklichen Geburt wie jede Wöchnerin der Ruhe bedarf. Doch liegt sie dort nicht erschöpft von den Wehen, sondern wie eine Kaiserin, denn sie ist die Mutter des Gottessohnes, weshalb sie Gottesgebärerin genannt wird.
Und die ganze Schöpfung, die auf die Erlösung wartet, kommt herbei zur Krippe: die Tiere, die jüdischen Hirten und die heidnischen Magier. Schließlich deuten die beiden Nebenszenen am Bildrand noch einmal auf das Geheimnis der Geburt dessen hin, der wahrer Mensch und wahrer Gott der Natur nach ist, auf die Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau Maria. Das Bad des Neugeborenen zeigt, dass der Logos wirklich und wahrhaftig Mensch geworden ist, wobei die Legende aus dem apokryphen Jakobusevangelium erzählt, daß Salome ursprünglich Zweifel an der Jungfräulichkeit Mariens hatte. Der am Rande sitzende Joseph schließlich sitzt deswegen so weit abseits, weil er weiß, daß er nicht der Vater des Kindes ist, und er sich deshalb über diese jungfräuliche Geburt seine Gedanken macht.
Der heilige Romanos der Melode hat im 6. Jahrhundert das Weihnachtskontakion gedichtet, das diese Paradoxien der Geburt des Sohnes Gottes als Mensch zusammenfaßt:
Die Jungfrau gebiert heute den Überseienden
und die Erde bietet die Höhle dem Unzugänglichen.
Engel lobsingen mit den Hirten,
Magier ziehen des Weges mit dem Stern.
Denn für uns ist geboren als neues Kind der Gott vor den Zeiten.
Eine Betrachtung von p. Martinos Petzolt