Paradiesische Zustände
Neue Trends
Veganes Essen, laktosefreie Speisen, fleischfreie Küche, vegetarische Teller sind längst in Mode. Fasten wird keineswegs mehr belächelt oder ist gar peinlich, denn auch Diät oder Intervallfasten sind völlig geläufig. Faster werden wegen ihrer Konsequenz und Überzeugung heute sogar eher bewundert und finden Interesse und Nachahmer. Allerdings hat das Fasten mittlerweile jegliche religiöse Dimension verloren und basiert höchstens auf einem manchmal zweifelhaften ideologischen Hintergrund. Für gläubige Menschen ist es jedenfalls ein Vorteil, sich in der veganen Strömung zu verstecken und orthodoxes Fasten unauffällig zu praktizieren ohne dauernden Fragen ausgesetzt zu sein.
Fasten und Feiern
Für die Väter der Kirche ist das Fasten keine Abwertung bestimmter Speisen oder des Essens allgemein, sondern ist genau wie das gesamte Kirchenjahr zyklisch. Es gibt Fastenzeiten und Feiertage, es gibt Zeiten der Enthaltung und Zeiten des Essens, es gibt Zeiten der Buße und strahlende Feste. Dass beides zusammengehört, offenbart die tiefe Weisheit und Klugheit der heiligen Väter der Kirche. Die Kirche verteufelt das Essen nicht, auch nicht bestimmte Speisen, sondern segnet ein jedes Essen. Doch erzieht sie auch zum verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper und seinen Bedürfnissen sowie mit der Natur, der Schöpfung, der Umwelt und den Tieren. So wie es Jahreszeiten und Schonzeiten gibt, gibt es auch Fastenzeiten, so dass alles seine Zeit und sein richtiges und gesundes Maß hat. Es gibt wohl niemanden, der ohne Abwechslung täglich ein Schnitzel oder ein Grillhähnchen verzehren möchte. Damit spiegelt das Vorübergehende der Fastenzeiten wie auch der Feiertage den ständigen Wechsel der ganzen Natur und des Lebens selbst. Tag und Nacht, Anstrengung und Ruhe, Sommer und Winter, Fröhlichkeit und Nachdenklichkeit, Sonne und Regen, Essen und Fasten, Wärme und Kälte, Beten und Plaudern, alles ist zyklisch und niemand kann in einem einzigen Zustand für immer stehen bleiben.
Eine Einstellungssache
Das alles sind keine Wertungen. Der Tag ist nicht besser als die Nacht und das Schlafen nicht besser als die Arbeit. Das eine gehört zu anderen, das eine hilft dem anderen, das eine gleicht das andere aus. So ist auch die Zeit des Askese und des Enthaltsamkeit keineswegs eine Zeit gedrückter Stimmung. Wie beim Heilfasten der Diätologen das Fasten durchaus erleichtert, wacher macht und stimmungsaufhellend wirkt, so unterstützt das Fasten das geistliche Leben und insbesondere das Gebet. Es ist freilich eine Einstellungssache, eine Sache des Kopfes, ob sich das Denken ständig nur um das Essen dreht und in Essensfantasien gefangen ist, oder ob sich auch der Kopf auf das Fasten einstellt und vom Esstrieb und der Sorge um den Gaumen und den Bauch eine Zeitlang befreien kann. Sonst wäre so, als läge man zwar im Bett, aber würde sich schlaflos herumwälzen, weil die Arbeit nicht aus dem Kopf verschwindet und einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Wenn er der Kopf nicht mitmacht, gelingt nämlich der Ausgleich nicht mehr und die Dinge vermischen sich und stören einander, statt zu helfen und zu unterstützen.
Asketische Kirche
Die orthodoxe Kirche ist durchaus und in ihrem Wesen eine asketische Kirche. Fasten, Buße, Enthaltsamkeit, Askese gehören ganz wesentlich zum geistlichen und kirchlichen Leben. Aber es geht nicht um Aufopferung, Verneinung, Strafe oder Leistungen, mit denen sich der Gläubige die Gnade Gottes verdienen könnte. Vielmehr geht es im geistlichen Leben in erster Linie und vor allem um Befreiung. Frei zu werden von Leidenschaften, dem Ungehorsam und von allen Sünden, die den Menschen seit dem Sündenfall Adams im Paradies von Gott trennen, ist das Bemühen und die Aufgabe gläubiger Christen. Das erste Gebot Gottes war ein Gebot der Enthaltsamkeit, nicht zu essen die Frucht vom Baum inmitten des Paradieses. Die Enthaltsamkeit zu üben führt wieder ein wenig ins Paradies zurück. Der Verzicht auf den eigenen Willen und die eigenen Wünsche führt endlich wieder zurück zur Freiheit Adams, mit dem Gott freundschaftlich verkehrte. Wer fastet, befindet sich deshalb nicht im Dunklen des Hades oder eines Fegefeuers oder eines Ortes der Strafe, sondern am lichten Ort der Gottesbegegnung. Die orthodoxe Fastenordnung unterstreicht dies, wenn wie im Paradies die Nahrungsaufnahme durchaus nicht verboten ist, aber bestimmte Speisen ausgeschlossen sind, nämlich alle Tiere und tierischen Produkte, eben das, was im Grunde mit Leidenschaften und Trieben zu tun hat.
Paradiesisches Leben
Es ist ganz offensichtlich: Dies kann keine paradiesische Welt sein, wenn Lebewesen getötet werden müssen, damit andere Lebewesen leben können, wenn Leben nur durch töten möglich ist, wenn die Welt in einer Abfolge von Fressen und Gefressen werden funktioniert. Ein Tier, das andere Tiere erlegt, sündigt freilich nicht, und auch ein Mensch, der Zuchtvieh zum Schlachten aufzieht, sündigt auch nicht. Aber paradiesisch kann das nicht sein. Im Paradies waren den Menschen und auch den Tieren die Früchte der Bäume und des Feldes zur Nahrung überlassen: „Seht, ich übergebe euch alles Kraut, das Samen hervorbringt auf der ganzen Erde, und alle Bäume, die samentragende Früchte hervorbringen; das sei eure Nahrung. Allem Wild des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf Erden regt und Lebensodem in sich hat, gebe ich alles grüne Kraut zur Nahrung“ (Gen 1,29-30). Erst nach dem Sündenfall wird erstmals in der Bibel vom Fleisch als menschlicher Nahrung gesprochen: „Alles, was sich regt und lebt, diene euch zur Nahrung; sowie das grüne Kraut überlasse ich euch alles. Nur Fleisch mit seiner Seele, nämlich dem Blut, sollt ihr nicht essen“ (Gen 9,3-4).
Der Prophet Jesaias hat eine Vision der paradiesischen Zustände der Tiere untereinander und der Menschen mit den Tieren: „Dann wohnt der Wolf bei dem Lamm und lagert der Panther bei dem Böcklein. Kalb und Löwenjunges weiden gemeinsam, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Die Kuh wird sich der Bärin zugesellen, und ihre Jungen liegen beieinander; der Löwe nährt sich wie das Rind von Stroh. Der Säugling spielt am Schlupfloch der Otter und in die Höhle der Natter streckt das entwöhnte Kind seine Hand. Sie schaden nicht und richten kein Verderben an auf meinem ganzen heiligen Berg“ (Jes 11,6-9).
Somit kann die Fastenzeit an das verlorene Paradies erinnern und dem Fastenden eine Zeitspanne gewähren, wie Adam und Eva in der Gottesbegegnung zu leben, und auf das künftige Paradies zu schauen in der Erwartung des lichten und strahlenden Pascha.
Von p. Martinos Petzolt