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Christus: das Licht und die Hoffnung der Welt

IHSOYS

 

Mit dem Jahr 2000 vollendet das Christentum zwei Jahrtausende historischer Gegenwart und Zeugenschaft. Aber Christentum bedeutet Jesus Christus, denn der Gottmensch ist Derjenige, der zu einem bestimmten geschichtlichen Moment in die Welt erlösend eingetreten ist und den Verlauf und den Sinn der Geschichte veränderte. Die Vollendung des zweiten christlichen Jahrtausends erlaubt nicht nur, dies zu feiern, sondern vor allem Bilanz zu ziehen über den Zustand der christlichen Welt und das Verhältnis der heutigen Christen zum Gründer der Kirche. Vor allem sind wir, die Orthodoxen, die trotz unserer Sünden der Tradition unserer Heiligen, der authentischen Christen, treu bleiben, dazu aufgerufen, der Welt zu bekennen, was Christus für uns bedeutet und mit welcher Einstellung wir ins dritte Jahrtausend nach Christi Geburt hineinkommen.

Natürlich kann für uns Orthodoxe das Jahr 2000 aus chronologischer Sicht nur konventionellen Charakter haben, denn es ist wissenschaftlich bekannt, daß unsere Chronologie gegenüber der wirklichen um 6 oder 7 Jahre zurückbleibt. Deshalb ist uns jede abergläubische Mythologisierung des Jahres 2000 fremd, welches erscheint, um in den natürlichen Fluß der Zeit hinzugefügt zu werden, wie es mit jedem Jahr geschieht. Die Feier der Geburt Christi dieses Jahr wird sich auch nicht von der Danksagung und Verherrlichung unterscheiden, die wir jedes Jahr Seiner Allheiligen Person emporsenden. Die heiligväterliche Frömmigkeit hat uns mit unvergleichlichen homiletischen und liturgischen Texten versorgt, die in die Tiefe des Mysteriums der göttlichen Inkarnation eindringen und ein frommes Bekenntnis von Glaube und Hoffnung für jedes christliche Herz zusammenstellen. Mit denselben Texten werden wir noch einmal unsere Danksagung und Verherrlichung unserem Herr Jesus Christus bekennen, „Ihn als Gott in allen Zeiten lobpreisend“. Was ist also Christus für uns Orthodoxe?

1. «Archetypus» und «Ziel»

Christus ist jene Person der Heiligen Dreiheit, die auch vor Seiner Inkarnation in direkter Verbindung mit der Welt steht. Erstens ist Er der Schöpfer alles Erschaffenen. Gott Vater erschafft „durch den Sohn im Heiligen Geist“ die Schöpfung. Sohn und Geist heißen in der Theologie unserer Kirche „Hände“ des Vaters. Der Sohn, Christus, wirkte auch nach der Erschaffung, „ohne Fleisch“ (d. h. vor Seiner Inkarnation), erlösend in der Welt, indem Er die Gerechten und die Propheten zur Vergöttlichung (gr. Theosis) führte, und die Welt darauf vorbereitend, Seine körperliche Anwesenheit anzunehmen.

Aber Christus ist auch der „Archetypus“ und das Vorbild, gemäß dem der Mensch erschaffen wurde. Dies wird durch den alttestamentlichen Satz offenbar: im Bilde Gottes schuf Er ihn (also Gott den Menschen, Gen 1,21). Nach dem Apostel Paulus, der das Mysterium Christi tiefer als jeder andere erlebte, ist der Gottmensch Christus das Bild des unsichtbaren Gottes, der als Wort (gr. logos) Gottes (Jh 1,1) der Welt den Vater offenbart. „Durch Den wir den Vater kannten“ singen wir in der Vesper des Heiligen Geistes nach den Worten des Kaisers Leon des Weisen († 912), die das Wort Christi umschreiben: Wer Mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (Jh 14,9). Also derjenige, der die Göttlichkeit des Sohnes sieht (Theoptie, „Schau Gottes“), sieht auch die Göttlichkeit des Vaters. Nach dem hl. Gregor Palamas bezieht sich das „im Bild“ auf den gesamten Menschen als Körper und Seele (das «συναμφότερον»). Nach dem hl. Johannes Chrysostomus (E.P. 59, 694) „πρώτον ετυπώθη τα κατά την σάρκα του Χριστού“, also „erst wurde das geformt, was das Fleisch Christi betraf (= erst wurde der Gottmensch als Urbild des Menschen auf ewig bestimmt)… „και τότε Αδάμ επλάσθη“,„und dann wurde Adam erschaffen“. Vor der Fleischwerdung (Inkarna-tion) blieb unser ewiges Urbild unsichtbar und unbekannt; durch die Fleischwerdung wurde es bekannt, ist geoffenbart worden im Fleische (1 Tim 3,16) in der Person Christi.

Aber Jesus Christus ist ebenfalls unser „Ziel“. Der Sinn unserer Existenz und unserer Anwesenheit in der Welt. Der Mensch wurde „christozentrisch“ erschaffen, „mens naturaliter christiana“, wie Tertullian (2. Jh.) sagte. Der Mensch ist von seiner Natur aus Christ, d. h. er bezieht sich auf Christus als seinen Schöpfer, als sein Urbild und Ziel. Der Sinn unseres Lebens ist die Vergöttlichung (Theosis) und unsere „Christosis“ „der Gnade nach“ („κατά χάριν“), die Einswerdung mit Gott „in Christo“ und durch Christus. Nach dem hl. Basileios dem Großen wurde der Mensch als „beauftragter Gott“ erschaffen („Θεός κεκελευσμένος“), also in sich das Gebot (Gottes) tragend, Gott zu werden („der Gnade nach“). Das bedeutet, das spirituelle Maß Christi zu erreichen, da er dazu berufen wird, zum vollkommenen Mann zu werden, zum vollen Maß der Fülle Christi (Eph 4,13) hinzugelangen: zur vollkommenen Reife, zum Maß des vollkommenen spirituellen Wuchses Christi.

Christus, als Gottmensch, bestimmt vom Anfang der Geschichte an den spirituellen Verlauf des Menschen; Er Selbst ist das Vorbild und Maß dieses Verlaufs. Er wurde so zum Schlüssel der Erkenntnis der Geschichte und des Menschen und Quelle ihrer Sinngebung. Mensch und Geschichte bewegen sich stetig auf den „kommenden“ Herrn zu, Den sie als Schöpfer, Erlöser, Erretter und Wohltäter treffen, aber auch als Richter am Ende der Geschichte, bei Seiner zweiten und glorreichen Erscheinung.

Christus ist daher das Zentrum der Geschichte geworden. Er spaltete die Geschichte in Zeitalter vor und nach Seiner Geburt. In Christus, wie in einem zentralen Fluß, mündet die gesamte Menschheit vor Christi Geburt, und aus Christus, als ihrem „Genarchen“, beginnt die Menschheit nach Christi Geburt, der Leib der in Christo Erretteten. Deswegen fließt Seine Kirche in die Welt hinein, um die gesamte Menschheit zu „verkirchlichen“ (Mt 28,19), so daß die ganze Welt in Christo und durch Christus wiedergeboren wird. So wird Christus nicht nur Zentrum der Geschichte, sondern auch ihr Anfang und „Entelechie“, ihr Zweck und Vollendung. Deshalb identifiziert sich Christus mit dem „Eschaton“, als Ende und Vollendung der Geschichte. „Eschaton“ ist das, jenseits dessen nichts anderes mehr für die Errettung erwartet wird. Jenseits von Christus, dem wahren Heilsbringer, gibt es nichts Neues unter der Sonne, wie das Buch Ekklesiastes [Kohelet] (1,9) sagt. Das „Eschaton“ kommt in die Welt mit der Fleischwerdung des Gottmenschen. Dann beginnt die „christliche Eschatologie“, und sie wird mit Seiner Zweiten Erscheinung vollendet. Das für die Errettung Erwartete kam mit Christus und liegt in Seinem Leib. Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden (Jh 1,17).

2. «Erwartung der Völker»

Jesus Christus, als Gottmensch, ist einzigartig und unvergleichbar, wie es durch Sein ganzes irdisches Leben bewiesen wird. Er ist der einzige Mensch, der noch vor Seiner Erscheinung auf der Bühne der Geschichte bekannt und erwartet war. Er war die Erwartung der Völker (Gen 49,10) der ganzen Welt. Denn Christus verhieß Seine Ankunft bereits nach dem Sündenfall der Ersterschaffenen („Protevangelion“, Gen 3,15). So orientierte sich die Sehnsucht der Menschheit auf die Zukunft, die Ankunft Christi, für die Wiederverbindung mit Ihm, die Erlösung. Diese Sehnsucht hinterließ heftige Spuren in der gesamten Menschheit, in Osten und Westen, besonders aber bei den Israeliten, die sich in den Personen ihrer Heiligen als „Gottes auserwähltes Volk“ („περιούσιος λαός του Θεού“) auszeichneten, nicht weil Gott „voreingenommen“ wäre (Apg 10,34), sondern weil ihre Heiligen den Weg der Gotteserkenntnis (Theognosie), die „Methode“ der Vergöttlichung (Theosis), retteten.

In der Prophezeiung (der Predigt derjenigen, die sich im Zustand der Theosis zur Zeit des A. T. befanden) ist die Ankunft des Messias-Christus in der Welt so intensiv und sicher, daß Sein Werk mit erstaunlicher Durchsichtigkeit beschrieben wird, als handelte es sich um bereits erlebte Wirklichkeit. Zum Beispiel vom Propheten Micha der Ort der Geburt Christi (5,1 vgl. Mt 2,6); vom Propheten Jeremia die Abschlachtung der Kleinkinder (31,15); vom Propheten Hosea die Flucht nach Ägypten (11,1); die Anbetung der Könige (Ps 71,10 u. Jesaja 60,3-6); der Vorläufer (Maelachi 3,1 u. 4,5) und seine Predigt (Jesaja 40,3-5); die Wundertaten Christi (Jesaja 35,5-6); der triumphale Einzug in Jerusalem (Sacharja 9,9); der Verrat Judas’ (Ps 40,8-10 u. Sach 11,12-13); die Verurteilung Christi (Ps 2,2); Seine Passion (Js 50,6; Ps 68,22; Ps 21; Js 53); Seine Auferstehung (Ps 15,10-11); Seine Himmelfahrt (Ps 109,1); die Herabkunft des Heiligen Geistes (Joel 3,1-5); die Umkehr der Heiden (Js 60,1-4). So ist es nicht verwunderlich, daß der „stimmgewaltigste“ Prophet Jesaja „fünfter Evangelist“ genannt wurde, da er das Zeitalter des Messias im Heiligen Geist erlebte, wie später die Evangelisten – Seine Jünger.

 

Klar und deutlich ist aber diese Erwartung auch bei den anderen Völkern: Griechen, Römern, Chinesen, Indern, Iranern, Ägyptern. Die relevanten Zeugnisse erstrecken sich bis Amerika und Skandinavien. Damit wir uns bei bestimmten eindrucksvollen Zeugnissen begrenzen, erwartete Konfuzius in China den „Heiligen“ und „Himmelsmenschen“ (Gottmenschen)! Der Buddha Gotama (der historische Buddha, in Indien, 5. Jh. v. Chr.) wies die Behauptungen seiner Anhänger, daß seine Lehre unüberwindbar sei, zurück, indem er sagte, daß seine „Lehre nach 500 Jahren ihr Ende finden“ würde. Das Erstaunlichste sogar ist, daß ein Zusammentreffen der universellen Erwartung des Messias in Palästina beobachtet wird, denn die Völker des Westens erwarteten Ihn aus dem Osten, während die Völker des Fernen Ostens Ihn aus dem Westen erwarteten.

Der „spermatische Logos“ („σπερματικός λόγος“) Gottes, der in die Herzen der spirituellen Menschen auf der ganzen Welt eindrang, führte die Gewissen zum Christus, die Menschheit so vorbereitend, Ihn zu empfangen, wenn die Fülle der Zeit (Gal 4,4) gekommen sei, die mit der universellen Gesellschaft des „Pax Romana“ verbunden wurde, und hauptsächlich mit der Person der Allheiligen Gottes-gebärerin. Die Allheilige Jungfrau wurde das „neue Paradies“, in dem der erwartete Messias als der Gottmensch, der Herr, Fleisch an-nahm .

Christus ist „der angekündigte Messias“. David verkündigte Seine Geburt (Ps 109,3). Salomon pries die urewige Weisheit Gottes als eine in die Welt kommende Person (Spr 8,22-26). Der Prophet Jesaja beschrieb Seine Geburt aus einer Jungfrau (7,14) und Seine Identität als Licht der Völker (9,1; 49,6), als Hirte (40,11), als Erlöser der Welt (25,6), der ein goldenes Zeitalter einweihen wird (35,6 u. 10). Jeremia sagte voraus, aus dem Stamm David würde ein gerechter König hervorgehen, der eine neue Gesellschaft herbeiführen würde (23,5-6; 38,22). Im Buch Baruch wird die Fleischwerdung der Weisheit Gottes prophezeit (Dann erschien sie [die Weisheit]auf der Erde und hielt sich unter den Menschen auf, 3,38). Daniel sagte das ewige Reich des Menschensohnes (7,13-14) voraus, usw. Alle Aspekte des Zeitalters des Messias werden mit Klarheit in den Büchern des A. T. beschrieben. Das Wunderbarste aber ist, daß diese Prophezeiungen „erfüllt“ wurden. Für Pascal war das ein „kontinuierliches Wunder“.

Christus ist außerdem der einzige Mensch in der Welt, dem im voraus ein Name gegeben wurde, der mit Seiner Sendung absolut identisch war. Und du sollst seinen Namen Jesus heißen, sagte der Engel zu Josef (Mt 1,21). Und er erläutert: Denn Er wird sein Volk erretten von seinen Sünden. Dasselbe sagte der Engel auch zur Gottesgebärerin (Lk 1,31). Der Name „Jesus“ bedeutet, daß Gott der wahre Heilsbringer ist. So erlebt auch die Kirche Christus (Apg 4,12: …es ist in keinem anderen das Heil). Die ganze Existenz und Gegenwart Jesu Christi bewegt sich zwischen Himmel und Erde und entspricht völlig dem, was der Begriff „Gottmensch“ beinhaltet. In Seiner Person finden die erfundenen „Gotterscheinungen“ der Heiden als Ausdruck ihres Verlangens nach Erlösung ihre Verwirklichung. Aber auch das pessimistische Dogma der Philosophen „Gott vermischt sich nicht mit den Menschen“ (Platon) wird widerlegt, denn in der Person Christi ist Gottoffenbart im Fleisch…, verkündet unter den Heiden, geglaubt in der Welt (1 Tim 3,16).

3. «Selbstberufener» Heilsbringer

Der erleuchtete Dichter des „Hymnos Akathistos“ betont eine wundersame Sicht der Fleischwerdung: „im Wunsch, die Welt zu erretten, trat der Gestalter von allem selbstberufen in diese ein“. Der Schöpfer der Welt wird Christus und Heilsbringer der Welt. Aber „selbstberufen“! Er trat in die Geschichte und die Zeit erlösend ein, um die Möglichkeit der Errettung anzubieten. Einziges Motiv dieser von Gott bestimmten Bewegung ist Seine Liebe. Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe (Jh 3,16). Gott aber erweist Seine Liebe gegen uns darin, daß Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist (Röm 5,8). Die Fleischwerdung ist die liebevolle Antwort Gottes auf das Verlangen der Welt nach Erlö-sung.

Christus ist das Maß der göttlichen Liebe. Die Inkarnation und Opferung des Gottmenschen Christus ist der größte Beweis dafür, daß Gott die Welt liebt. Die orthodoxe väterliche Tradition braucht keine gerichtlichen Theorien, um die Entäußerung (Kenosis) Gottes des Wortes zu interpretieren (z.B. „Befriedigung der göttlichen Gerechtigkeit“, Anselm von Canterbury), sondern ist treu dem Wort der Apostel geblieben. In der Person des Gottmenschen bringt Sich Gott Selbst dar, für uns Menschen und wegen unseres Heils; Er nimmt alles an, um den Menschen zu retten. Das durch Ihn ist das, was in der Tatsache der göttlichen Fleischwerdung das größte Gewicht hat: damit die Welt durch Ihn errettet wird! Dies stellt eine grandiose Offenbarung der göttlichen Liebe dar – nicht für die Verwirklichung der Errettung, sondern weil Gott wußte, daß nur „durch Ihn“ die Errettung verwirklicht werden konnte. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen (Apg 4,12). Nur in Christo, dem einzigen Gottmenschen, ist die Errettung möglich. Christus kann erretten, weil Er Gottmensch ist. Was bedeutet dies?

Die gottmenschliche Eigenschaft Jesu erklärt der Name „Christus“. Der vollständige und regelrechte Name für uns Orthodoxe ist „Jesus Christus“. Christus heißt Gottmensch, da Seine göttliche und Seine menschliche Natur sich nie trennen. Sie vereinigten sich „ohne Vermischung und ohne Trennung“ in der Person Gottes des Logos, der Seine zwei vollkommenen Naturen „hypostatisch“ vereinigt. Christus bedeutet „gesalbt“. Bei der Fleischwerdung ist der Mensch von Gott gesalbt worden, die menschliche Natur von der göttlichen. Folglich ist es Häresie und Täuschung, Christus nur für Gott zu halten, Seine Inkarnation vergessend, oder nur für einen Menschen, wenn auch für einen weisen und ein moralisches Vorbild, und dabei zu vergessen, daß Er auch nach Seiner Inkarnation Gott bleibt. Ohne den Gottmenschen Christus gibt es weder ein Christentum noch eine Möglichkeit der Rettung. Nach Basileios dem Großen „ist die Erkenntnis Christi das Bekenntnis von allem; sie weist hin auf den salbenden Gott und den gesalbten Sohn und das Salböl (Chrisma), den Geist, hin…“ (P.G. 32,116). Indem wir Christus als Gottmenschen annehmen, glauben wir an die Heilige Trinität; anderenfalls lehnen wir sie ab.

Im Gottmenschen Christus ist der Mensch mit Gott auf vollkom-mene und einzigartige Weise vereinigt worden. So hat das Erschaffene (κτιστόν) eine einzigartige Möglichkeit der Theosis, seiner Vereinigung mit dem Unerschaffenen (άκτιστον). Denn nur in der Vereinigung mit dem Gottmenschen kann dies erfolgen. Das ist auch der Zweck der Fleischwerdung. Nicht die Verbesserung der menschlichen Angelegenheiten, sondern die Vergöttlichung des Menschen und die Heiligung der materiellen Welt. Im Gottmenschen-Christus erkennen wir Gott, nicht abstrakt, kontemplativ, intellektuell. Christus als Gottmensch hat den Gott unserer Väter, Abraham, Isaak, Jakob offenbart. Der historische Gottmensch Jesus Christus ist die Essenz der Offenbarung Gottes, die Essenz des Christentums. Der Gottmensch ist die gesamte Offenbarung, welche zur wahren Gotteserkenntnis führt. Eine Erkenntnis Gottes außerhalb des Gottmenschen gibt es nicht. Und hierin liegt das entscheidende Element, welches das Christentums von jeder Form der Religion abhebt, aber auch die Überwindung der „Religion“ in Christus. Alle religiösen Lehrer und Gründer von Religionen verweisen auf irgendeine Gottheit. Christus verweist auf Sich Selbst (Ich bin…, Ich sage euch…). Die Religionen setzen Bewegung von unten nach oben voraus, Suche Gottes. Der Gottmensch ist der vom Himmel Herabgestiegene (Jh 3,13). Deshalb hat Er auch das Recht zu sagen: Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater, als nur der Sohn (Mt 11,27). Christus als Gottmensch ist die liebevolle Bewegung des Dreieinen Gottes zur Welt hin. Einer ist der Dreieine Gott, einer auch der Gottmensch, der Heilsbringer der Welt. Der hl. Gregor Palamas sagt: „Wenn der Logos Gottes nicht fleischgeworden ist, hat sich der Vater nicht wahrlich als Vater gezeigt, der Sohn nicht wahrlich als Sohn, noch der Heilige Geist als aus dem Vater hervorgehend“ (P.G. 151,204).

Indem Christus für Sich Selbst den Titel von Daniel Menschensohn („Sohn des Menschen“, Dan 7,13) erwählt (über 80mal benutzt Er ihn in den Evangelien), legt Er Sein messianisches Selbstbewußtsein als des erwarteten Gottmenschen offen. Genau dies wird Er einer mißverstandenen Gestalt, die von Seiner Gnade erleuchtet wurde, der Samariterin (und späteren Heiligen Photini), eindeutig mitteilen, indem Er ihr sagt: Ich bin es, Ich, der mit dir spricht (Jh 4,26), als sie Ihm die Frage nach der Ankunft des Messias stellte.

Wenn Christus Sich auf Seine Errettungsmission bezieht, charakterisiert Er Sich Selbst als „Weg, Wahrheit, Leben“: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben (Jh 14,6). Dies sagt Er zu Thomas, als dieser den Zweifel ausdrückt: Herr, wir wissen nicht, wohin Du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? (Vers 5). Als „Weg“ ist Christus der einzige Weg zur Errettung – zur Vergöttlichung (Theosis), der ewigen Verwirklichung des Menschen. Der einzigeMittler (1 Tim 2,5), der die Kluft überbrückt, welche den sündigen Menschen von Gott trennt, und ihm Seinen Frieden spendet („versöhnt“, Röm 5,10 [siehe Fußnote 1 ]). Natürlich nicht, weil Gott plötzlich Stimmungenwechselt. „Der Anfeindende ist nicht Er, sondern wir; denn Gott ist nie feindlich“ (Johannes Chrysostomos, P.G., 61,478).

Deshalb verkündet Christus: Ich bin die Tür; wer durch Mich hineingeht, wird gerettet werden (Jh 10,9). Es ist charakteristisch, daß auch das Christentum von jenem Augenblick an, als Christus Sich Selbst als den Weg zu Gott und zur Rettung bezeichnete, „der Weg“ genannt wurde (Apg 9,2) – der Weg (die Lebensweise) zur Rettung. Es ist die erste bekannte Bezeichnung des neuen Glaubens, bis man die an Christus Glaubenden Christen nannte (Apg 11,25).

Als Wahrheit ist Christus Derjenige, der der Welt die authentische Daseinsform gebracht hat, die zum tatsächlichen Leben, zum wahren Leben führen kann. Natürlich, als Pilatus Christus fragte: Was ist Wahrheit? (Jh 18,30), waren seine Worte nicht ganz genau gewählt. Denn er hätte fragen sollen: „Wer ist die Wahrheit?“ Denn, wie wir weiter oben gesehen haben, setzt Christus die Wahrheit mit Seiner Person gleich. Er ist die verkörperte Allwahrheit (Παναλήθεια)! Weg und Wahrheit verbinden sich untrennbar in Christus. Der Weg zu Gott führt durch die Wahrheit. Wenn der Christus, der von einer christlichen Gemeinde, die den Namen „Kirche“ beansprucht, angeboten wird, nicht der wahre Christus ist – der eine und einzige Gottmensch –, dann ist diese Gruppierung „Häresie“ und kann nicht zur Rettung führen. Dies ist das Drama der Häresien und der Pseudomessiasse der Welt. Dies ist aber auch das Kriterium des christlichen „Dogmas“, des Glaubens, der Lehre der Kirche. Das Dogma ist keine Summe abstrakter „Wahrheiten“, die dem Menschen von oben her aufgezwungen werden. Es ist die Aufzeichnung der Erfahrungen jener Menschen, die sich in der Theosis befinden (θεουμένων) – der Heiligen – und hat therapeutischen Charakter. Es hilft dem Gläubigen, die Rettung auf richtige Weise aufzusuchen und zu ihr geführt zu werden. Christus bekundet über Sich Selbst: Ich bin dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege (Jh 18,37). Das ganze Erlösungswerk Christi ist vielseitige Offenbarung der rettenden persönlichen Wahrheit, Christus Selbst. Dies ist die Orthodoxie unserer Väter. Christus ist die verkörperte Orthodoxie.

Als Wahrheit offenbart Christus nicht nur Gott, denn in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol 2,9), und Er ist nicht nur vollkommener Gott, wie der Vater und der Geist, sondern offenbart auch den wahren (authentischen) Menschen. Dies deutete Pilatus, ohne daß er es wollte, von der Geistesgabe Gottes bewegt, indem er auf Christus zeigte und sagte: Siehe, der Mensch (Jh 19,5), denn Er ist in der Tat der Mensch, der vollkommene Mensch und das heilbringende Vorbild jedes Menschen.

Christus war als die Wahrheit Selbst auch der Inhalt Seiner Lehre, Seiner prophetischen Predigt. Darum hing das ganze Volk an Ihm und hörte Ihn gern (Lk 19,48). Und dies, denn Er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten (Mt 7,29). Die von den Hohenpriestern und Pharisäern entsandten Gerichtsdiener gestanden: Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser (Jh 7,46). Die Suche nach Allgemeinplätzen in der Lehre Christi erweist sich also als vergebliche Mühe. Seine Lehre läßt sich mit dem Wort keines anderen Lehrers, Religionsführers oder Philosophen vergleichen. Die Stellungnahme: „Das hat auch der und der Philosoph gesagt“, um Christus herabzumindern, zeigt, daß man nur die äußere Hülle der Worte sieht, aber gegenüberdem „Wort Christi“ ignorant bleibt.

Bestimmte Übereinstimmungen einzelner Phrasen beweisen keine allgemeine Identifizierungen. Als Summe ist die Lehre Christi die Offenbarung Seiner einzigartigen Identität und führt entweder zur Annahme Seiner Person als des Heilbringers oder zu Seiner Ablehnung. Überdies ist Seine Lehre mit Seiner Person identisch. Er ist Jener, der zu sagen wagte: Und Ich sage euch

Sein Wort ist „Samen“ der Gnade („σπόρος“ Χάριτος), der nach der guten Erde sucht, dem reinen Herzen, um Frucht zu bringen (Lk 8,15). Das Wort Christi rettet nicht als eine moralische Ermahnung, sondern weil es unerschaffene Göttliche Geistesgabe ist. Es ist das Wort Gottes. In Ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen (Jh 1,4).

Alles, was in Christus ist, ist Leben. Durch all Seine Heilmittel überträgt Christus Sich Selbst. Er ist „der Darbringende und das Dargebrachte“der Göttlichen Liturgie und Eucharistie. Die drei Begriffe „Weg – Wahrheit – Leben“ als Bezeichnung Christi drücken eine natürliche Folge aus. Christus führt zu Gott, indem Er Sich Selbst als verkörperte Allwahrheit offenbart und somit ins ewige Leben einführt, welches die innere – kardiale Erkenntnis Gottes (Jh 17,3) ist, die Vereinigung mit Ihm.

4. «Befreier und Friedensstifter»

Im Apolytikion des Festes der Begegnung wird Christus als Befreier unserer Seelen bezeichnet, denn Er rettet, indem Er in zwei Richtungen befreiend handelt, innerlich und äußerlich. Erst befreit Er von der inneren Knechtschaft, der Knechtschaft des Teufels und der Leidenschaften. Er reinigt das Herz von der Sünde, damit der Mensch seine innere Einheit und sein Gleichgewicht findet und brüderliche Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen verwirklichen kann. Der Prozeß der Rehabilitierung der inneren Einheitlichkeit des Menschen nimmt die Form einer Therapie an. Darum wird Christus in der Göttlichen Liturgie Heiler unserer Seelen und Körper. Kommt der Mensch in den Leib Christi, die Kirche, unterzieht er sich einer „therapeutische Behandlung“ durch die Kraft des Heiligen Geistes, die sich in den Stadien „Katharsis (Reinigung) – Erleuchtung – Theosis“ entfaltet. Damit sich die egozentrische und egoistische Liebe des Menschen in eine uneigennützige verwandelt, muß der Mensch diesem Weg folgen. Er bemüht sich, mit der Gnade Gottes als Helfer und Mitwirker, Seinen Geboten zu folgen, damit das Herz gereinigt und er durch den Heiligen Geist erleuchtet wird. Der Mensch ist berufen, erst „Knecht Jesu Christi“ zu werden, was für den Apostel Paulus ein Ehrentitel war. Willentlich geknechtet unter Christus, befreit er sich von der Knechtschaft der Sünde (Röm 6,18). Die Tragik des Menschen, der nicht bereut, besteht darin, daß er seine Knechtschaft für Freiheit hält und daß er Früchte der Freiheit vom Zustand der Knechtschaft erwartet. Deshalb enttäuschen letztendlich die soziopolitischen Systeme, da sie den Menschen innerlich nicht befreien können.

Christus befreit durch Seine eigene Freiheit (Gal 5,1). Darum ruft Er dazu auf, Seine Wahrheit kennenzulernen – Christus Selbst als Wahrheit –, damit wir befreit werden. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen (Jh 8,32). Dies bedeutet Teilhabe am geistlichen Leben. Von der inneren Freiheit beginnt in Christo auch jeder Kampf um äußere (soziale und nationale) Frei- heit. Es ist unmöglich, daß einer Freiheit verspricht, während er Sklave des Verderbens ist (2 Petr 2,19). Christus befreit innerlich, um die Welt zu erneuern, ohne Systeme und Manifeste. Dies geschah mit Seiner Fleischwerdung, welche Einführung Seines Lebens, des Christuslebens (Χριστοζωή), in die Welt ist.

Christus fand eine Welt vor, in der der Mensch keinen persönlichen Wert hatte, außer als Mittel für die Zwecke des Staates. Nur der Kreis der freien Bürger besaß soziale Rechte. Es herrschte das Brauchtum des Neonatizides, der Kleinkindtötung, und der Aussetzung von Säuglingen. Die Frau war Eigentum des Mannes und lebte seinetwegen. Philosophen wie Aristoteles hielten das Gesetz der Sklaverei für natürlich. Und all dies waren keine Ausnahmen, sondern gesetzmäßige Gewohnheiten. Der kleine Blitz der Stoiker brachte minimale Ergebnisse, führte außerdem zu weiteren Täuschungen. Durch Christus und in Christo geschah die Erhebung des Menschen, ewig durch die Fleischwerdung des Gottmenschen besiegelt. Der Mensch bekam unsagbaren Wert, erkauft mit dem Blut Christi (1 Kor 5,20). Für den Menschen starb Christus Selbst (Röm 14,15). Nur Christus verkündete, daß die Gesetze dem Menschen dienstbar sind, und nicht dessen Dienstherren, mit Seinem unüberwindbaren Wort: Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen (Mk 2,27). Christus glich den Mann und die Frau einander an (vgl. Kol 3,11) und schaffte das „Kinderaussetzen“ ab. Weiterhin brach Er in der Praxis die Ketten der Sklaverei, indem Er den Sklaven aus dem „beseelten Gut“ (Aristoteles) in den lieben Bruder seines Herren (vgl. Brief an Philemon) verwandelte.

Durch die innere Befreiung des Menschen befriedet Christus den Menschen mit sich selbst. Als Gebieter des Friedens (Js 60,17) wird Er zu unserem Frieden, indem Er Seine friedenstiftende Gnade übermittelt, wie es nach der Auferstehung geschah (Friede euch, Jh 20,19). Überdies hatte Er vor Seiner Passion erklärt: Frieden lasse Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe Ich euch (Jh 14,27). Christus Selbst wurde zum Frieden für den Menschen und die Welt. Dies verkündet der Apostel Paulus, der den Empfang des Friedens in Christo erlebte und vom Verfolger zum Apostel wurde. Denn Er ist unser Friede, sagt er. Er ist Derjenige, der die beiden Teile (Juden und Heiden) vereinigte und durch Sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft niederriß. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in Seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden… (Eph 2,14). Im bezug auf den Gegensatz von Juden und Heiden, der in Christo in der Kirche überwunden wurde, präsentiert der Apostel Paulus auf erhabenste Art das friedensstiftende Werk Christi, das mit Seiner Geburt beginnt, gemäß der Hymne der Engel Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden (Lk 2,14). Christus vereinigt uns, verbrüderlicht alle in Seinem Fleische, mit Seiner Fleischwerdung, Seiner Kreuzigung und vor allem in der Göttlichen Eucharistie. Wir essen unseren Gott, um einander nicht aufzufressen…

5. «Besieger des Todes und Lebenspender»

Der heutige Mensch ist nicht mit dem Geheimnis des Todes vertraut. Permanenter Feind des Menschen bleibt der Tod. Der verzweifelte Kampf um die Überwindung des Todes manifestiert sich in den Versuchen der modernen Wissenschaft (Klonen, Kryonik, Immortalität usw.). Und der Apostel Paulus sagt: Der letzte Feind, der entmach-tet wird, ist der Tod (1 Kor 15,26). Aber der Tod wurde bereits „in potentia“ in Christo entmachtet. Der Schlüssel der Überwindung des Todes ist die Auferstehung Christi, der persönliche Sieg des Gottmenschen über den Tod. Christus, von den Toten auferweckt, stirbt nicht mehr; der Tod herrscht nicht mehr über ihn (Röm 6,9).

Der einzige Sieger über den Tod in der Geschichte ist Christus. Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg?, fragt der Apostel Paul (1 Kor 15,55) und ergänzt: Der Stachel des Todes aber ist die Sünde (V. 56). Folglich besiegt den Tod, wer die Sünde endgültig besiegt. Und das ist Christus, der einzige (Gott-)Mensch, Der keine Sünde tat, noch wurde Trug in seinem Munde erfunden (1 Petr 2,22). Wer also die Sünde in Christo besiegt, hat auch am Sieg Christi gegen den Tod teil und an allem, was er ausdrückt. Die Sieger in Christo über den Tod sind die Heiligen. Wer die heiligen Reliquien, z. B. des hl. Spyridon auf Kerkyra (Korfu) oder des hl. Gerasimos auf Kefallinia, sieht, unverwest und wundertätig, versteht, was der Sieg über den Tod und seinen Verfall bedeutet.

Die Auferstehung Christi ist das ontologische Fundament der Kirche. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, so ist euer Glaube nutzlos (1 Kor 15,17). Sie ist aber auch ein hermeneutischer Schlüssel der universellen Geschichte und unseres Lebens. Die Fleischwerdung des Wortes Gottes ist der Eintritt des Ewigen und Unzerstörbaren in die Geschichte. In eine Welt, welche auseinanderfällt und im Verfall verwest, dringt die Ewigkeit ein und offenbart sich, in Christus personifiziert, als Möglichkeit der Überwindung des Todes. Die Auferstehung Christi ist ein definitiver Sieg über den Tod, nicht nur als Kontinuität des biologischen Lebens, sondern als Athanasie, also Fortbestand des Lebens innerhalb der göttlichen Liebe und Gabe. Dies bedeutet das „ewiges Andenken“ („αιωνία η μνήμη“), welches bei Totenandachten und Beerdigungen gesungen wird. Daß der Tote im ewigen Andenken bleibe, d. h. ewig in der Gnade Gottes. Daß er ewig mit Gott sei, wie Christus dem dankbaren Räuber sagte: Noch heute wirst du mit Mir im Paradies sein (Lk 23,43). Ohne Christus ist der Tod schrecklich. Aber Christus entmachtet durch Seinen Tod den, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel (Hebr 2,14). Weder der Tod noch sein „Gebieter“, der Teufel, rufen bei einem Menschen, der in Christo lebt, dem Heiligen, Furcht hervor. Denn er weiß, daß der Tod das Leben in Christo und dessen Fortbestand in der unerschaffenen Gnade Gottes weder zu unterbrechen noch aufzulösen vermag, sondern nur das biologische Leben in dessen Entwicklung in dieser zerstörbaren und vergeblichen Welt.

Unser biologisches und geistiges Leben ist soweit Leben, wie es zu Christus gehört. Und wir gehören zu Christus, wenn wir mit Ihm sterben und auferstehen werden. Unsere freiwillige Passion (Aske-se) und unser freiwilliger Tod mit Christus (vgl. Mt 16,24; Mk 8,34), also die „Nachfolge“ Christi mit Konsequenz – wie es bei den Mönchen der Fall ist – ist der einzige Weg einer Mitbeerdigung und Mitauferstehung mit Christus. An diesem Punkt wird begreiflich, daß das Christentum keine Ideologie oder Philosophie ist, sondern Leben, in aller Tiefe und Breite des Begriffs. Es ist ein Erlebnis. Entweder lebst du in Christo, in einem Leben ständiger Reue, oder du gehörst nicht zu Christus. Die aber Christus Jesus angehören, haben das Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt (Gal. 5,24). Christen sind die mit Christus Mitgekreuzigten, nach dem Bekenntnis des Apostels Paulus: Ich bin mit Christus gekreuzigt worden, und nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,20). Wie der Tote frei geworden ist von der Sünde (Röm 6,7: er hört damit auf, zu sündigen), so ist auch der „Mitgekreuzigte“ mit Christus für die Sünde schon tot. Dies bedeutet das Wort des Gebetes: „Laß unsere irdischen Glieder ruhen.“ Daß der Mensch es erreicht, nach dem hl. Gregor Palamas, „unfähig zu werden, zu sündigen“! Darum bitten wir Gott darum, uns „den ganzen Tag (Abend) … friedlich und ohne Sünde…“ zu geben. Dies ist möglich, wenn der Mensch durch die Askese mit Christus mitgekreuzigt wird.

Dieses Leben, als Sieg gegen den Tod, die Sünde und den Teufel, brachte Christus in die Welt. Er gründete keine soziale oder wohltätige Institution, sondern Er ruft uns in Seinem Leib, in die Kirche, damit wir ständig den Tod, die Sünde und den Teufel besiegen können. Denn nur dann können wir unseren Mitmenschen wahrlich, also uneigennützig, lieben und eine Gesellschaft der Brüderlichkeit und Liebe gründen. Die Gesellschaften dieser Welt ohne Christus sind konventionell und anonym, da sie diese Möglichkeit nicht haben, denn, indem sie Christus ignorieren oder verachten, bemühen sie sich nicht um sie. Das authentische Leben in der Kirche wird zu einem kontinuierlichen Weg der Auferstehung. Durch die Mysterien (Sakramente) und das spirituelle Leben besiegt der konsequente Christ den Tod kontinuierlich und hat an der Auferstehung Christi teil. Die „Reue“ ist Möglichkeit zum Exodus aus dem Gefängnis unserer toten Natur und Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Deshalb lehren unsere Mönche aus ihrer Erfahrung: „Wenn du stirbst, bevor du stirbst, wirst du nicht sterben, wenn du stirbst…“

6. «Herr des Himmels und der Erde»

Beim triumphalen Einzug Christi in Jerusalem, kurz vor Seiner Pas-sion, empfing Ihn das Volk als König und begrüßte Ihn: Hosanna… der König Israels, was bedeutet: „Rette uns, Herr, Israels König.“ Trotz des sicherlich „nationalistischen“ und weltlichen Fundaments dieser Worte, brachte das Volk – durch die Gnade Gottes – eine große Wahrheit zum Ausdruck, denn diese Worte sprachen die wahre Identität Christi an.

Christus ist wahrlich König der Welt, denn Er ist ihr Schöpfer, Heilsbringer und Richter. Er ist König des Neuen Israels, Seiner Kirche. Er ist König, Herr und Gott jedes Gläubigen, den Er dazu ruft und dem Er erlaubt, daß Er in seinem Herzen wohnt (vgl. Apk 3,20). Nach Seiner Auferstehung, also nach Seinem Sieg gegen den Teufel, die Sünde und den Tod, verkündete Christus Seinen Jüngern: Alle Macht ist Mir gegeben im Himmel und auf Erden (Mt 28,28). Der auferstandene Christus ist – und wird so in der Kirche erlebt – Herr des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren, das Haupt aller Mächte und Gewalten (Kol 2,10). Vor Seiner Passion fragten die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes Christus: Aus welcher Vollmacht tust Du das und wer hat Dir diese Vollmacht gegeben? (Mt 21,23). Christus antwortete damals nicht (Mt 21,27), denn gefangen in ihrer Leidenschaft gegen Ihn hätten sie Ihn nicht verstehen können. Nun, im Licht der Auferstehung, offenbart Er, daß Seine „Vollmacht“ aus Seiner Auferstehung stammt. Im Maß dieser Vollmacht wird Er am Pfingsttag die Kirche – als Sein Leib – gründen, und mit dieser Vollmacht entsendet Er Seine Jünger, die Welt für Sein Reich herauszufischen (Mt 28,19: Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu Meinen Jüngern…)

Bei Seinem Verhör durch Pilatus erklärte Christus, Sein Reich sei nicht von dieser Welt (Jh 18,36). Dies bedeutet, es ist ein Reich „von anderer Art“, das sich von den Reichen und Gewalten der Welt, wie des Herodes, unterscheidet. Das Reich Christi ist himmlisch, geistig, heilsbringend, denn es bezieht sich auf Seine unerschaffene Gnade (άκτιστος Χάρις). Dort, wo diese angenommen wird, da herrscht auch Sein Reich. Aus dieser Sicht ist Christus König der Könige und Herr der Herren (Apk 19,16) und Seines Reiches wird kein Ende sein (Lk 1,33).

Zu diesem Reich ruft Christus den Menschen. Er kam in die Welt, um in ihr Sein Reich, Seine Gnade, Seine Herrlichkeit, Seine Macht, Seine Liebe auszubreiten. All diese sind synonym und drücken die unerschaffene Energie des Dreieinigen Gottes aus. Er verlangt keine Anhänger und keine Untertanen, sondern Er will befreien und heiligen. Kommt her zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid, und Ich werde euch Ruhe geben (Mt 11,28). Dies ist Seine Einladung. Er fordert auf, Sein himmlisches Reich im Menschen zu etablieren. Das Reich Gottes ist inwendig in euch (Luk. 17,21). Dies bedeutet, daß Er Selbst zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geist im Menschen Wohnung nimmt (Jh 17,24; 14,23).

Der Mensch ist dann Mensch Christi, wenn Gottes Geist in ihm wohnt (Röm 8,9). Er fordert freilich auf (Wer Mir nachfolgen will… Mt 16,24), überläßt aber dem Menschen die Entscheidung. Er schafft keine Illusionen (Die Pforte ist eng, und der Pfad ist schmal, der zum Leben führt, und wenig sind ihrer, die ihn finden, Mt 7,14). Denn die Wahl des Reiches Christi verwirklicht sich als Kampf gegen unsere aufbegehrende Natur, gegen die Tyrannei unserer Instinkte. Und dies erfordert Gewalt gegen die Natur und einen unaufhörlichen Kampf. Dem Himmelreich wird Gewalt angetan, und Gewalttätige reißen es an sich (Mt 11,12). Es ist der einzige Kampf, bei dem Christus „Gewalt“ verlangt – nicht, damit wir jemanden anderen besiegen, sondern unser eigenes verdrehtes Selbst („Der Sieg über sich selbst der erste und höchste unter allen Siegen’’, Demokrit). Für den Eintritt ins Reich Christi ist ein heftiger Kampf nötig, wie das Leben und Verhalten unserer Heiligen beweist. Der einzige Trost, die einzige Linderung ist das Wort unseres Christus: In der Welt seid ihr in Bedrängnis, aber seid guten Mutes, Ich habe die Welt besiegt (Jh 16,33).

Die Hebräer, beeinflußt von ihren nationalistischen und materialistischen Auffassungen vom Messias, konnten einen König wie Christus nicht annehmen, der das Kreuz zum Thron und Sein Martyrium zum Zepter macht. Dies war ein „Skandal“ für die Hebräer, wie es eine „Torheit“ für die Weisen der Welt war (1 Kor 1,23). Als Pilatus daher, beunruhigt über die geplante Verurteilung eines Unschuldigen, fragt: Euren König soll ich kreuzigen?, erhält er die Antwort: Wir haben keinen König außer dem Kaiser (Jh 19,15). Dahin kann jeder Mensch gelangen, in jedem Zeitalter, wenn er den Geist in sich tötet; wenn er innerlich abstirbt und sein Herz versteinert (Mk 3,5). Dies kann auch bei nicht wirklich wiedergeborenen „Christen“ geschehen, die nur äußerlich und dem Namen nach Christus angenommen haben. Ohne lebendiges, geistiges Leben, ohne spirituellen Kampf (Teilnahme am sakramentalen Leben des Leibes Christi), bleibt die Taufe inaktiv. Der Christ muß sich selbst kontinuierlich überprüfen, ob er die Gnade Gottes aktiv in sich hat (2 Kor 13,5: Prüft euch, ob ihr im Glauben seid). Der Christ kann sich nicht auf viele „Könige“ und „Herren“ aufteilen (vgl. Mt 6,24), Christus gegen jeden beliebigen weltlichen „Cäsar“ tauschen oder Christus auf das sogenannte „Geistige“ begrenzen, während er sich in seinen sozialer Entscheidung dem Dienst und der Macht der Herren dieses Äons anschließt.

Die Anerkennung Christi als Einzigem König unseres Lebens bekennen wir, orthodoxe Christen, in der Göttlichen Liturgie: „Ein Heiliger, Ein Herr, Jesus Christus.“ Herr ist der Gottmensch als Gott, und Er ist unser einziger König. Darum offenbaren jedwede Verdrehungen bei diesem Thema – wie die Veränderung der Kirche zu einer Institution weltlicher Macht (Staat) mit einem irdischem König (Papst) und staatlicher Struktur – den Verlust des Sinnes Christi und Seines Reiches. So aber wird das Wort unseres Christus verständlich: Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist (Mt 22,21). Christus akzeptiert, daß die politische Macht von Gott gegeben ist (vgl. Röm 13,1: Es ist keine Macht außer von Gott). Die Macht als Institution (nicht die Personen der Herrschenden) wurde von Gott für die harmonische Bildung der Gesellschaft gegeben. Der Christ ist also zur Achtung gegenüber der Macht verpflichtet, „bei der kein Gebot Gottes behindert wird’’, nach Basileios dem Großen (P.G. 31,860). Als die Hebräer also Christus, in ihrer Absicht Ihm eine Falle zu stellen, das Geldstück des Kaisers vorzeigen, erklären sie indirekt, daß sie die Macht des Kaisers anerkennen, indem sie sein Geldstück verwenden. Während aber das Geldstück dem Kaiser gehört, weil es sein Bild trägt (Mt 22,20), ist der Mensch das Bild Christi. Also gehört er ganz und gar Ihm.

7. «In die Äonen verlängert»

Christus verband Sich nicht nur mit einem Moment der Geschichte, wie es auch bei den wichtigsten Menschen der Fall ist. Christus umfaßt die gesamte Dauer der Geschichte, indem Er vom Anfang bis zu ihrem Ende heilsbringend handelt. Im Zeitalter vor der Fleischwerdung „fleischlos“ und nach Seiner Inkarnation „fleischhaft“. Und nach Seiner Himmelfahrt verließ Er die Welt nicht, wie Er dies Seinen Jüngern versprochen hatte: Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen (Jh 14,18), und: Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters (Mt 28,20). Am Pfingsttag kehrt Christus „im Heiligen Geist“ zurück und Sein vergöttlichtes „Fleisch“, „ohne Vermischung und ohne Trennung“ mit Seiner menschlichen Natur verbunden, wird zum „Ort“ der Versammlung aller Vergöttlichten, der Heiligen.

Der Fortbestand der Anwesenheit Christi als Heilsbringer in der Welt geschieht durch Seine Kirche. Es gibt keinen anderen Weg der heilsbringenden Begegnung mit Christus außer in der Kirche, Seinem Leib. Mit Seiner Inkarnation „übergab Christus der Kirche Sein Fleisch“ (hl. Nikolaos Kavasilas), und „die Kirche machte Er zu Seinem eigenen Leib“, bemerkt auch der heilige Chrysostomos (P.G. 52,429). Christus verband Sich also untrennbar mit Seiner Kirche, und die Kirche – als Sein Leib – bleibt untrennbar verbunden mit Christus, Der ihr Haupt und ihr Anfang ist, ihr Leben und der Lebenspender. Die Trennung der Kirche von Christus oder Christi von der Kirche ist die furchtbarste Häresie. Denn so „entfleischen“ und „entblößen“ wir Christus, „der für uns Menschen und unseres Heiles willen … Fleisch geworden ist…“. Wir vertreiben Christus aus der Welt und wandeln die Kirche in einen sozialen oder philoso-phischen Verband um. Christus „verlängert Sich in die Äonen“ durch Seine Kirche, denn die Kirche ist die „Folge

Erzpriester Georgios D. Metallinos,

 Professor der Universität von Athen,

 Dekan der Theologischen Fakultät:

 (Aus dem Griechischen ins Deutsche n von

 Alexander S. Iliadis, Aachen)

Christus: das Licht und  die Hoffnung der Welt