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Die Osterikone

 

Die Osterikone

 

Über das Geschehen der Auferstehung unseres Herm von den Toten findet sich in den kanonischen Evangelien keine Beschreibung, nicht ein einziger Hinweis. Berichtet wird die Grablegung und das Entdecken des offenen und leeren Grabes in der Morgendämmerung des Ostertags. Matthäus hat dazwischen außer der Wachaufstellung noch eine Schilderung der Graböffnung durch einen während eines Erdbebens herabgestiegenen Engel, vor dem die Wächter erzittern, eingefügt. Aber auch diese hat direkt nichts mit der Auferstehung Christi zu tun, denn sie ermöglicht nicht den Ausgang des leibhaft Auferstandenen aus dem Grabe, sondern den Eingang der Frauen in das bereits leere Grab, auf dass sie feststellen können, dass dort wirklich kein Leichnam liegt.

Bereits vor dem Morgengrauen (Joh 20,1) ist Christus leibhaft auferstanden aus dem versiegelten Grab, in das noch niemand vorher gelegt worden war, ebenso wie er aus der versiegelten Jungfrau als Mensch hervorging, die noch nicht geboren hatte, ohne deren jungfräulichen Mutterschoß zu verletzen.

Das, was in den Offenbarungsschriften ungesagt ist, bleibt auch in der alten und ursprünglichen Osterikone ungemalt. Ikonen sind Mysterienbilder, denn in ihnen stellt die Kirche allen, die durch die Taufe sehend wurden (daher der Taufterminus “photismos”), das ganze Glaubens- und Heilsmysterium in einzelnen Heilsereignissen verdichtet und konkretisiert vor Augen. Wie die Hl. Schrift die Offenbarung Gottes und das Heilswerk Christi ins Wort bringen – weil der unsagbare Gott selbst gesprochen hat -, so bringen die hl. Bilder die Heilsmysterien und darin die wahren Glauben ins Bild, weil das Wort Fleisch geworden ist.

Auch die Osterikone ist Mysterienbild. Sie trägt den Titel “i agía anástasis”, die heilige Auferstehung, zeigt aber nicht einen aus dem Grab hervorbrechenden Christus, den die Wächter verschlafen oder vor dem sie in Todesangst erzittern. Das Bild verkündet die leibhafte Auferstehung unseres Herm über ihre singulär historische Faktizität hinaus zugleich in ihrer Heilsdimension und Heilsrelevanz.

Bedeutsam ist insbesondere, dass Christus auf dem Osterbild nicht allein dargestellt ist. An seiner Hand führt er den erstgeschaffenen Menschen Adam. Der neue Adam fasst den alten Adam am Handgelenk. Christus richtet den Gefallenen wieder auf, er reißt ihn förmlich aus dem Abgrund des Todes, zieht ihn in seine Lichtgloriole und nimmt ihn in die gewaltige Bewegung der Auferstehung. Auf dieses Geschehen weisen die Propheten des Alten Bundes, insbesondere die prophetischen Könige David und Salomo, oft auch Johannes der Vorläufer, hin, und auch die Frau Ekklesia hebt bittend ihre in ehrfurchtvoller Anbetung verhüllten Hände. Die Auferstehung Christi ist also keine bloße Einzelheit aus seinem Leben, in ihr kulminiert die ganze Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Christus nimmt in der Auferstehung den Adam und sein Geschlecht mit.

Noch einmal: Die Pas’cha-Ikone zeigt das Mysterium des Glaubens, keine Historie. Sie behauptet nicht, dass am Ostermorgen außer Christus auch noch Adam leibhaft gleich mit auferstanden sei und nicht auf den Tag der Wiederkunft des Herrn, an dem er die Gerechten zu sich in sein ewiges Reich holt, warten müsste. Sie stellt aber deutlich vor die gläubigen Augen, dass die Auferstehung Christi die Auferstehung und Errettung des gefallenen Adam und der ganzen Menschheit bedeutet, und dass der Mensch – vom Heil und der Gnade her gesehen und nicht chronologisch – durch die Auferstehung Christi zur Auferweckung geführt wird, dass er gewissermaßen “mit”-aufersteht. Mit dem Erstgeschaffenen Adam sind zugleich alle einbegriffen, die durch den Fall des einen Menschen zu Sündern gemacht wurden (Röm 5,19). Der hl. Johannes Damaskinos schreibt im Osterkanon: “Als mein Erlöser … hast du miterweckt den Adam mit seinem ganzen Geschlecht als du auferstandest aus dem Grabe” (6. Ode, 2. Troparion).

An Ostern wurde also das grundgelegt, was sich bei der Wiederkunft des Herrn real und endgültig vollendet und erfüllt. Am Lazarussamstag singt die Kirche im Apolytikion, welches Ziel die Auferstehung Christi hat: „Um die allgemeine Auferstehung zu bezeugen, hast du vor deinem Leiden den Lazarus von den Toten auferweckt …“

Christus, der “Erstling der Entschlafenen” (1Kor 15,20), hat den Tod besiegt und die Hadestüren mit ihren Schlössern und Angeln, mit denen das Paradies verschlossen war, zerbrochen. Das fasst der Osterhymnus der Orthodoxie zusammen:

„Christus ist auferstanden von den Toten,

im Tode hat er zertreten den Tod

und denen in den Gräbern Leben geschenkt“.

„Christós anésti – alithós anésti“

 

von π. Μαρτίνος Petzolt

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